Am 6.5.2019 wurde Helmut Brandstätter mit dem Ari-Rath-Ehrenpreis ausgezeichnet. Der Ari-Rath-Preis wird im Gedenken an den 1938vonden Nationalsozialisten aus Österrreich vertriebenenehemaligen Chefredakteur der Jerusalem Post, Ari Rath,verliehen, der seit 2005 auch wieder österreichischerStaatsbürgerwar und im Jänner 2017 in Wien verstarb. 2019 erhielten den Ari Rath Preis Silvana Meixner, die Leiterin und Präsentatorin der ORF-Sendung „Heimat Fremde Heimat“, und den Ari Rath-Ehrenpreis der derzeitige Herausgeber des „Kurier“, Helmut Brandstätter, der laut Jurybegründung „im Laufe seiner Karriere immer wieder konsequent bewiesen hat, dass die liberale Demokratie durch offene und professionelle journalistische Analyse in Bewegung gehalten und gegen Mißbrauch geschützt werden muss.“ Seine hier komplett wiedergegebene Rede zum Dank für die Auszeichung wurde uns freundlicherweise vom Autor zur Verfügung gestellt.
Das ist der erste Journalisten-Preis meines langen Berufslebens, vielleicht ist es auch der letzte. Das wäre gar nicht schlimm, schließlich sollen sich Journalisten nicht daran gewöhnen, geehrt zu werden, es muss uns genügen, für unsere Arbeit respektiert zu werden.
Aber über diesen Ari-Rath-Ehrenpreis freue ich mich ganz besonders, immerhin ist er nach einem Mann benannt, den wir alle für seinen Lebensweg, seine Leistungen und seine Lebensfreude bewundern und der uns immer Vorbild sein wird. Und der Preis gibt mir die Chance, meine Gedanken zu diesem Beruf, den ich noch immer für den schönsten auf der Welt halte, mit Ihnen zu teilen. Dieser Beruf war oft umstritten, das ist gut. Aber heute ist er auch gefährdet – nicht nur in Österreich, aber inzwischen AUCH in Österreich – und darüber hinaus ist die Architektur unserer Demokratie, zu der freie Medien gehören, nicht mehr selbstverständlich, darüber werde ich jetzt zu Ihnen sprechen.
Zuletzt haben mir Kolleginnen und Kollegen verschiedener Redaktionen erzählt, sie würden immer öfter beim Schreiben von Artikeln zumindest kurz daran denken, ob ihnen das schaden könnte, wer wieder anrufen würde, wer wieder versuchen würde, einzugreifen, wer wieder Druck machen würde. Und sie tun es. Die Regierung will nicht nur regieren, sondern auch mitreden und kontrollieren, was über das Regieren berichtet wird. Aber: Wenn wir beim Schreiben, beim Berichten und Analysieren auch nur einen Gedanken an mögliche negative Auswirkungen unserer Arbeit zulassen, sind wir schon am Anfang vom Ende der Pressefreiheit.
Ari Rath musste vor einer Diktatur flüchten, um zu überleben, und war dann in einer Demokratie Journalist, mit der er aber auch so seine Schwierigkeiten hatte. Dass ich ersteres nicht erleben musste, dafür werde ich ewig dankbar sein, und das hat mich auch immer motiviert, weil Demokratien kein Garantiezertifikat haben, auch unsere nicht. Das Zweite, die natürliche Distanz des Journalismus zur Macht in der Demokratie, halte ich für eine Voraussetzung für diesen Beruf, auch und gerade, weil einige der hierzulande im Moment Mächtigen nicht verstehen können – oder nicht verstehen wollen, dass Politik und Medien in einem antagonistischen, aber zugleich respektvollen Verhältnis leben müssen. Eine echte, ehrliche Pressefreiheit ist auch Grundlage unserer Demokratie.
Der 14-jährige Ari musste aus seiner Heimat flüchten, um sein Leben zu retten, ebenso wie sein Bruder Maximilian und viele andere. „Alles, was mir wichtig war, wurde mir nach dem 11. März 1938 genommen, weil ich Jude war“, schreibt Ari in seinen Erinnerungen – „Ari heißt Löwe“. Am 31. Oktober 1938 ist Ari mit zwei Freunden den Nazis nur knapp entwischt, eine Horde von Hitlerjungen, die „Judenbuben, Judenbuben“ riefen, wollten sie zum Arbeitsdienst bringen, am 2. November konnten Ari und sein Bruder den rettenden Zug nach Triest erreichen, um von dort nach Palästina zu gelangen.
Was hätte ich gemacht, hätte ich als Jugendlicher mitgeschrien? Diese Frage hat mich seit meiner Jugend beschäftigt, seit ich ansatzweise versucht habe zu verstehen, was das Nazi-Regime ausgemacht und was es mit Menschen gemacht hat. Dass ich darauf keine eindeutige Antwort geben kann, das hat mich als Mensch beschäftigt und in meinem Beruf immer demütig sein lassen.
Ich war keiner von denen, die schon als Schüler wussten, dass sie Reporter werden wollten und mit dem Aufnahmegerät herumgelaufen sind, um Interviews mit Erwachsenen zu machen. Meine ersten Eindrücke von Journalisten waren nämlich gar nicht so positiv. Mein Vater hat jeden Abend eine Tasche mit den Tageszeitungen und politischen Magazinen nach Hause gebracht. Er war Generalsekretär der Präsidentenkonferenz der Landwirtschaftskammer, also politisch klar verortet im Bauernbund und in der ÖVP aktiv. Aber in seiner Tasche waren alle Zeitungen, von der Arbeiter-Zeitung bis zum Volksblatt, alle Bundesländerzeitungen, und natürlich auch der Kurier. Nur mit der Krone hat er lange Zeit gefremdelt, nach der habe ich dann aber auch verlangt. Dass ich diese einmal im Auto hinten auf der Ablage, wo damals noch der Platz für Hüte war, liegen ließ, fand er gar nicht lustig.
Der junge Bursche, der seit Kindesbeinen zu Hause stets Diskussionen über Politik verfolgte, zweifelte bald an der Tätigkeit von Journalisten. Wie konnten Redakteure ein und dasselbe Ereignis gar so unterschiedlich darstellen? Klar, über den Wahlsieg der SPÖ am 1. März 1970 musste die AZ jubeln und das Volksblatt klagen. Aber wie konnten Redakteure der Arbeiter-Zeitung für den Landwirtschaftsminister Johann Öllinger argumentativ in die Bresche springen, der zunächst illegaler Nazi in Kärnten und dann SS-Mitglied gewesen war? Und war wirklich alles schlecht, was Bruno Kreisky mit seiner Minderheitsregierung 1970 angestoßen hat, wie das Volksblatt Tag für Tag oft aufgeregt und unsachlich berichtete? Glaubten die Redakteure das oder mussten sie es glauben und dann auch noch schreiben? Und mit dem eigenen Namen zeichnen?
Im ersten Studienjahr an der juristischen Fakultät hat mich mein Vater zu einer Klausur des ÖVP-Klubs nach Bad Gastein mitgenommen. Dort sah ich, wie Journalisten, die ich bereits als bekannte Schreiber wahrgenommen hatte, im Hallenbad mit Abgeordneten Wasserball spielten, und am nächsten Tag über sie berichteten. Da waren sie wenigstens noch durch das Wasser von einander getrennt, dann an der Bar erschien mir manches Verhältnis noch enger.
Nach Jus-Studium, Hochschülerschaft und Gerichtspraxis wurde die Neugierde, etwas mehr von der Welt zu verstehen, als die Machtspiele und das Machtgefüge in Österreich, immer größer. Bei einem Studium an der Johns-Hopkins-University in Bologna, einem Praktikum bei der Europäischen Kommission und in vielen Monaten als Reiseleiter in den USA wuchs der Wunsch, als Journalist aus aller Welt zu berichten. Also kam ich 1982 zum ORF mit dem Ziel, Auslandskorrespondent zu werden. Dass die Parteien sich dort auch damals viel wünschten, und manches bekamen, sogar bei der Anstellung junger Reporter mitreden wollten, habe ich schnell verstanden. Gerd Bacher hat uns stets das Gefühl gegeben, dass ein starker und selbstbewusster ORF wichtig für das Land ist, und Hugo Portisch und andere gaben uns die Gewissheit, dass die Suche nach der Wahrheit unsere Arbeit bestimmen muss. Ihnen bin ich dankbar, vor allem aber auch allen Kolleginnen und Kollegen, mit denen es lange, mühsame, aber stets engagierte Diskussionen gab. Bei allem, was es am ORF damals zu kritisieren gab und heute zu kritisieren gibt – diese Stimmung der permanenten Auseinandersetzungen in den Redaktionen und später auch unter den Korrespondenten war prägend.
Und noch etwas – und damit bin ich schon im heutigen Österreich. Ich war damals überzeugt davon, dass die Politik den Journalismus akzeptiert, und sei es nur als notwendiges Übel. In Deutschland, wo ich ja zwei Mal lange arbeiten durfte, ab 1984 für den ORF in Bonn und ab 1997 für n-tv in Berlin, war das noch deutlich stärker, habe ich auf beiden Seiten noch mehr Selbstbewusstsein gespürt.
In Österreich ist das Verhältnis von Politikern zu Medien heute sehr, sicher zu stark, von purer Angst bestimmt. Politiker haben Angst davor, dass sie „herunter geschrieben“ werden, wie das ein Geschäftsmann in Verkleidung eines Journalisten in Österreich gerne unverblümt androht. An höflichen Tagen. An unhöflichen schlägt er zuerst verbal zu, um nachher zu kassieren. Also haben fast alle Politiker Angst davor, dass auch gegen sie kampagnisiert wird, wie sie das bei anderen erlebt haben. Sie haben Angst, dass nachteilige Fotos verwendet werden, und dass sie in ihrer Umgebung als zu schwach wahrgenommen werden, derartige Kampagnen zu verhindern.
Auch Journalisten haben Angst. Zunächst einmal davor, von wichtigen Informationen abgeschnitten zu werden. Im Innenministerium war man dumm genug, das auch noch schriftlich anzuweisen. Dazu kommen existenzielle Ängste, auf beiden Seiten. Abgeordnete zum Nationalrat können in ihrem Wahlkreis noch so fleißig und beliebt sein, aber wenn der Landeschef, der Parteichef oder gar der Erfinder einer Bewegung den Daumen senkt, dann weiß die ganze Arena – das wars. Auch für Redakteurinnen und Redakteure kann es existenziell werden, ein weitgehend abgesicherter Job, das war einmal.
In diese Stimmung der allgemeinen Unsicherheit beobachten wir auch noch Attacken auf Journalisten, die ihren Beruf ernst nehmen. Wenn das nicht reicht, kommt es zu Einschüchterungsversuchen aller Art. Ich weiß, wovon ich rede, habe mich aber nicht einschüchtern lassen. Weder durch Klagen noch durch Verleumdungen, als etwa der Sprecher des Vizekanzlers mir einen SS-Verwandten andichten wollte, übrigens unter Berufung auf die Neonazi-Website metapedia. Dass metapedia von Neonazis betrieben wird, hätte er auf den ersten Blick erkennen müssen.
Auch Drohungen, unser Wohnhaus auf FPÖ-TV und Facebook zu zeigen, konnten mich nicht einschüchtern. An dieser Stelle ein besonderer Dank an den KURIER und seinen Geschäftsführer Thomas Kralinger, aber auch an den Aufsichtsrat, die optimale Vertretung durch unseren Rechtsanwalt war mir immer sicher. Auch eine Kampagne mit gefälschten Dokumenten und andere Lügengeschichten des Gratisblattes Österreich konnten mir keine Angst machen. Dass schon die SPÖ-ÖVP-Regierung diese Fälscherwerkstätte finanzierte, war eine Schande, dass Türkis-Blau noch mehr zahlt und diese oft als Mitteilungsorgan der Regierung verwenden, ist oft nur mehr peinlich.
Wir haben ja auch Privilegien, also dürfen wir auch nicht wehleidig sein. Aber das darf kein Freibrief für persönliche Attacken sein, egal von wem sie kommen. Wer den KURIER, mich oder Chefredakteurin Martina Salomon kritisieren will, soll das tun, sachlich, aber nicht beleidigend wie zuletzt die SPÖ Langenzersdorf.
An dieser Stelle ein Wort zum ORF. Die Diskussion, die hier geführt wird, ist rundherum scheinheilig. Wenn dem ORF die Unabhängigkeit von der Regierung wichtig wäre, warum ist die Führung nicht stärker aufgetreten, jetzt oder bei der vorherigen Regierung? Und wenn der SPÖ die Unabhängigkeit des ORF so wichtig wäre, warum hat sie dann nicht als Kanzlerpartei dafür gesorgt?
Der ORF hat nur eine Chance, das ist die jeweilige Opposition: VOR der nächsten Wahl müssen alle Oppositionsparteien sich auf ein Gesetz für einen parteifernen ORF verpflichten. Und gleichzeitig garantieren, von mir aus per Notariatsakt, nur in eine Regierung einzutreten, die dieses Gesetz auch wirklich umsetzt. Politiker vergessen nämlich manchmal, was sie vor der Wahl versprochen haben.
In der aktuellen Situation aber müssen wir alle den ORF vor diesen primitiven Angriffen, die absurderweise sogar von der Spitze des Stiftungsrates kommen in Schutz nehmen – und gleichzeitig von der Führung verlangen, jede Intervention offen zu legen und gleichzeitig zurückzuweisen – ob es um Personalfragen, den Druck auf Nachrichtensendungen oder die Verhinderung der Ausstrahlung von Produktionen geht. Nur anständiger, unabhängiger Journalismus kann die Existenzgrundlage eines öffentlich-rechtlichen Senders sein.
Ich verdanke dem ORF sehr viel, viele interessante Einsätze, große Persönlichkeiten als Chefs und gebildete, engagierte Kolleginnen und Kollegen. Aber ich kann nicht vergessen, wie sehr man mich und andere zwingen wollte, dass wir uns parteipolitisch deklarieren. Das war zu meiner Zeit nicht die ORF-Führung, das waren Parteien von außen und ein Betriebsrat von innen, später hörte ich Ähnliches, manchmal Schlimmeres. Wir hatten damals keine Angst, nicht weil wir besser ausgebildet gewesen wären, sondern weil wir selbstbewusst genug waren, dass wir auch anderswo einen Job finden würden. Heute führt die Drängerei am Arbeitsmarkt der Journalisten oft zu Resignation.
Da ist es umso leichter, dem „public watchdog“ einen Maulkorb umzuhängen. Öffentliche Kontrolle ist Teil der Demokratie, die nur eine liberale sein kann, alle anderen Zusätze sind ein Vorwand für deren schrittweise Abschaffung.
Ja, Journalisten haben sich da und dort zu wichtig genommen, da und dort ihre Aufgaben vergessen, und manche von uns sind vielleicht fallweise auch der Macht zu nahegekommen. Aber das alles darf kein Grund sein, die unabhängige Berichterstattung zu bekämpfen, Journalisten herunter zu machen, sie mit Unwahrheiten öffentlich zu verfolgen oder zu bedrohen, wie auch ich das erlebt habe, manchmal subtil, manchmal weniger subtil.
Aber das ist nur ein Teil einer politischen Entwicklung, die man mit dem Wort Rechtspopulismus zusammenfassen kann. Diese Parteien werden das weiter machen, weil es aus ihrer Sicht erfolgreich ist, das wundert mich also nicht. Dass bürgerliche Politiker nicht dagegen aufstehen, das aber enttäuscht mich. Ich dachte immer, ihr Vorbild sei der selbst denkende, freie Citoyen. Beseelt von momentaner Macht übersehen sie aber, dass mehrere Säulen unserer Demokratieuntergraben werden, die aber das Funktionieren und den Erfolg der 2. Republik ausgemacht haben.
Nehmen wir die Exekutive, die Ministerien und ihre nachgeordneten Dienststellen. Die Kabinette der Minister, die die Beamten in ihrer Arbeit im Idealfall führen, im schlimmsten aushebeln sollen, sind nichts Neues. Dass aber durch nichts legitimierte Generalsekretäre als politische Vizeminister agieren, ist in der Verfassung nicht vorgesehen.
Der Überfall auf das BVT, der – um es vorsichtig zu formulieren, weil die Herrschaften klagen ja gerne – dem Innenminister und seinem Kabinett im Voraus nicht entgangen sein kann, war der vorläufige Höhepunkt einer Kampagne, die alle Beteiligten verunsichern soll. Ein sehr hoher Polizist, der einer der beiden Regierungsparteien nahesteht, sich aber stets als Diener seines Landes sah, sagte mit kürzlich: „Sie glauben gar nicht, wie viele Polizisten schon Angst haben, intern offen zu reden.“ Und das wagte er erst zu sagen, nachdem er mich gebeten hat, auf WhatsApp anzurufen: „Sie wissen eh, da können wir nicht so leicht abgehört werden.“
„Die Herren im Verfassungsgerichtshof sollen lieber Kaninchenfell statt Hermelin tragen, und sie sollen nicht Fasching spielen“, das ist ein Zitat von Jörg Haider. So hat die Verachtung von Höchstgerichten begonnen. Die Verachtung für den Rechtsstaat führt sein Schüler Herbert Kickl weiter. Dazu gehört, die Menschenrechte in Frage zu stellen. Und jenen gesellschaftlichen Konsens, der die 2. Republik genau deshalb im Gegensatz zur ersten zu einem Erfolgsmodell gemacht hat, zu unterminieren.
Der Klubzwang im Parlament hat in Österreich Tradition, aber dass man nach der Verfassung frei gewählten Abgeordneten nur einen kleinen Wink geben muss, und sie für das Rauchen in der Gastronomie stimmen, wo sie ein paar Monate zuvor mit voller Überzeugung dagegen gestimmt haben, heißt doch, dass die Angst vor dem Verlust des Mandats größer ist als die eigene Überzeugung. Ja, da ist sie wieder, die Angst, sie treibt auch frei gewählte Mandatare um.
Wer sich lange als Nebenregierung gefiel, wie die Sozialpartner, muss jede Form von Kritik ertragen, die Politiker ertragen müssen. Aber die Sozialpartner stehen für jenen Ausgleich, der Österreich stark und selbstbewusst gemacht hat. Und sie haben zu einem Zusammenhalt beigetragen, der plötzlich nichts mehr wert sein soll.
Zusammenhalt, das ist auch das Stichwort für Europa. Die Nationalisten sind in ihren Formulierungen etwas vorsichtiger geworden, weil der von ihnen bejubelte Brexit ins Chaos geführt hat. Aber ihr Ziel haben sie nicht aufgegeben, die Europäische Union zu zerstören. Die Generation unserer Eltern musste in den Krieg ziehen oder flüchten, uns wurden Freiheit und Demokratie geschenkt, wir werden beides nur gemeinsam in Europa, als bewusste Europäer erhalten.
Es ist die Geschichtslosigkeit in der Politik, die mir auch Sorgen macht. Gegen jede Form von Antisemitismus aufzutreten, ist wichtig und leider immer wieder notwendig. Das Gedicht, wo Menschen wieder als Ratten dargestellt wurden, entmenscht, wie bei den Nazis, ist kein Einzelfall, egal ob es um Juden oder eine andere Gruppe von Menschen geht, die man gerade ausgrenzen oder als angeblichen Feind des Volkes zeigen will. Die Distanzierungen werden häufiger, aber nicht glaubwürdiger.
Und jene, die sich jetzt mal schneller, mal weniger schnell distanzieren, sollen überlegen, mit welchen Parolen eine Stimmung aufbereitet wurde, in der sich wenig gefestigte und auch noch ungeschickte Charaktere bestätigt und motiviert fühlen. Das Klima zunächst verbal radikalisieren und sich dann distanzieren, wenn andere auf Facebook noch schlimmeres schreiben, das ist verantwortungslos. Es ist in den sozialen Medien so einfach, mit den Emotionen der Menschen spielen, sie mit lockeren Sprüchen und auch gefälschten Bildern aufzuhetzen. Aber wer fängt die Emotionen wieder ein, wenn aus Worten wieder Taten werden? Erst vor kurzem haben wir den Überfall auf die Synagoge in San Diego erlebt, mit ähnlichen Formulierungen wie in Christchurch. Anschläge auf Christen in Sri Lanka sind auch das Ergebnis von Verblendung und Verhetzung, das dürfen wir nie akzeptieren, egal gegen wen es geht.
Sie sehen, meine sehr geehrten Damen und Herrn, es sind nicht nur die freien Medien in unserer Demokratie gefährdet, es geht viel tiefer. So wird auch das, was ich seit Jahren Inseratenkorruption nenne, mehr als eine Kombination von einem unanständigen Geschäftsmodell mit gekaufter öffentlicher Lobpreisung. In leider täglich gelebter Konsequenz führt es zur Zerstörung der Akzeptanz des journalistischen Berufs. „Die sind alle käuflich und auch nicht glaubwürdig“, das soll signalisiert werden. So gefährdet die Regierung den Ruf und die Aufgabe des Journalismus, während sie sich mit Steuergeld bejubeln lässt. Und dabei das sogenannte „Sparen im System“ vergisst, indem jedes Ministerium viele Mitarbeiter beschäftigt, die einerseits die Medien ständig beobachten und im Zweifel Journalisten auch bedrängen sollen.
Das ist der eine Teil der Message Control, das Verhindern von Kritik. Der zweite besteht darin, dass Medienmitarbeiter der Minister selbst so tun, als seien sie Journalisten. So verbreiten Ministerkabinette auf Facebook Jubelberichte über das segensreiche Wirken der Regierung in Wort und Bild. Manche Ministerien haben in diesem Bereich ein Vielfaches an Mitarbeitern von gut ausgestatten innenpolitischen Redaktionen.
Eine deutliche Medienförderung, ausgerichtet nach Qualität wird uns seit Jahren versprochen. Versprochen, und nicht gehalten. Dafür gilt die interne, aber unverblümt vermittelte Parole: Entweder ein Medium ist für uns, gut, oder gegen uns – dann wird es bekämpft oder zumindest boykottiert. Solche Medien werden dann als Teil der Opposition hingestellt, so soll ihnen die Glaubwürdigkeit genommen werden, indem man sie als politische Gegner darstellt.
Die Arbeit von Journalisten ist objektiv schwieriger geworden, es muss alles immer schneller gehen, und das auf verschiedenen Plattformen. Die Kritik von Leserinnen und Lesern kommt schneller zu uns, damit müssen wir uns beschäftigen, sie kann auch wichtig sein, uns weiterbringen. Aber bitte um Verständnis, dass ich Kritik von Politikern über unsere Arbeit nicht immer ernst nehme, weil sie eine Agenda verfolgen. Mein Appell an die Regierung: Lassen Sie uns in Ruhe arbeiten, kontrollieren Sie einander, aber nicht ihre Kontrollore.
Die Institutionen der Demokratie schwächen, von den Gerichten bis zu den Medien, Feinde benennen, Menschen ausgrenzen, das eigene Volk für bedroht erklären und daraus einen neuen Nationalismus nähren, das alles erleben wir. Das alles ist kein Zufall, darüber müssen wir reden. Wir alle, die wir keine Angst haben, das führt dort immerhin zu Verwirrung, das widerspricht den Erwartungen. Das ist unsere große Chance. Nein, das ist der Anspruch an den Journalismus immer – und heute ganz besonders. Tatsachen berichten, aber diese auch bewerten, klar, unmissverständlich, ohne Angst.
Wie das Medien in Österreich wieder tun können, egal wer regiert, darüber müssen wir nachdenken und reden, wie Journalisten die notwendige Sicherheit spüren. Ich sage es noch einmal: Wir dürfen niemals während der Arbeit darüber nachdenken, ob uns eine Formulierung schaden könnte. Wir müssen unser Hirn ausschließlich dafür verwenden, nach der Wahrheit zu suchen, das zu berichten, was wir gesehen und gehört haben, das zu schreiben, was wir für richtig halten. Die Sekunde, in der man den Gedanken nach möglichen negativen Konsequenzen zulässt, ist schon das Ende von freien Medien.
Ich habe keine Angst – wir haben keine Angst – diesen Satz sollten wir Journalisten immer verwenden, wenn irgendwo Druck aufgebaut wird. Nutzen wir dafür auch die sozialen Medien, um das allen zu sagen – teilen wir den Hashtag MedienohneAngst, je größer die Gruppe von Menschen wird, die das tut, umso klarer wird die Botschaft.
Und da haben wir mit Ari und seinem Vermächtnis einen starken Verbündeten. „I am a fighter, ich mache weiter“, so hat Ari seine Freunde begrüßt, die ihn im Allgemeinen Krankenhaus besucht haben, wo er Ende 2016 eine neue Herzklappe eingesetzt bekommen hatte. „Ich empfinde es als großes Geschenk, dass mich meine natürliche Neugier, mein gutes Gedächtnis und mein Optimismus nie verlassen haben“, schrieb Ari, der Löwe in seinen Erinnerungen. Wenn das keine Anleitung ist, wie wir mit den heutigen Herausforderungen zurechtkommen werden! Danke dafür. Alle in unserem Land sollen wissen, dass wir dich als Vorbild haben.
Wien, 6.5.2019