Rede Michael Bünker, Evangelische Kirche A.B.

 Mutiges Aufstehen, mutiges Einstehe

 

Liebe Freunde und Freundinnen des ORF, da gehört schon einiges dazu, einen Bischof, Vertreter einer Religionsgemeinschaft, derart aufs Glatteis zu führen. Oder hat von den Veranstaltenden niemand gemerkt, dass sich in Datum und Uhrzeit unserer Zusammenkunft eine alte biblische Botschaft verbirgt? 6.6., 6 Uhr - das ist natürlich 666, „The Number of the Beast“ aus der Bibel, Offenbarung des Johannes, die Apokalypse, Kapitel 13, Vers 18. Aber keine Sorge, ich widerstehe allen apokalyptischen Ausritten. Warum? Weil es ja zu jeder Apokalypse gehört, dass wir nichts mehr tun können als erschrocken zusehen und abwarten und dazu vielleicht einen Spritzwein trinken. Aber wir können etwas tun und wir tun auch etwas.

 

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ein Kulturgut, das weder den Kräften des Marktes noch den Interessen der Politik ausgeliefert werden darf.  Er gehört uns allen und braucht Rückhalt und Unterstützung bei allen gesellschaftlichen Kräften, denen Freiheit, Demokratie, Menschenrechte, gesellschaftlicher Zusammenhalt ein Anliegen sind. Diese Anliegen teilt die evangelische Kirche wider auch andere Religionsgemeinschaften. Der ORF dient auch der Religionsfreiheit. Die Vielfalt der Religionen wird kompetent dargestellt. Strittige Fragen werden diskutiert und – wo notwendig – auch Kritik an den Religionen geübt und diese zur Selbstkritik ermutigt. Die Religionen selbst setzen sich der öffentlichen Debatte aus. Das tut den Religionen gut und auch der offenen und pluralistischen Gesellschaft, der der ORF damit dient.

 

Die Privaten tun das gewiss auch. Manche mehr, manche weniger. Aber die Privaten müssen es nicht tun. Nur der öffentlich-rechtliche Rundfunk muss. Wir wollen einen ORF, der das machen muss, weil er dazu einen gesamtgesellschaftlichen Auftrag hat. Freier, verantwortungsvoller Qualitätsjournalismus gerade auch in Religionsfragen ist nicht selbstverständlich. Aber er liegt im gesamtgesellschaftlichen Interesse, auch im Interesse öffentlicher Religionsausübung und öffentlicher Religionskritik. Je deutlicher der ORF selbst das in seinen Programmen, aber auch in seiner Organisationsstruktur umsetzt, umso mehr entspricht er diesem Auftrag. 

 

Zum Glück wurde das symbolträchtige apokalyptische Datum unserer Kundgebung nicht bewusst ausgesucht. Wenn ein Datum bewusst gewählt worden wäre, dann wäre mir lieber gewesen, wir hätten uns am 15.1. um 7 Uhr getroffen, denn dann wäre 1517 herausgekommen, das Jahr des Aufbruchs, der Reform und Reformation. Kein passives Abwarten angesichts der Entwicklungen. Mutiges Aufstehen, mutiges Einstehen für unsere Überzeugungen – das ist jetzt gefragt.

 

Wien, Karlsplatz

6. Juni 2018