Rede Leonard Dobusch, Universität Innsbruck, ZDF-Fernsehrat

Gäbe es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht, man müsste ihn erfinden

 

Einer der Hauptgründe, warum ich heute hier stehe, ist, dass ich gemeinsam mit anderen, so 40 bis 50 Leuten vor allem aus der Wissenschaft und der medieninteressierten Zivilgesellschaft in Deutschland, 10 Thesen zur Zukunft der öffentlich-rechtlichen Medien im digitalen Zeitalter mitverfasst und erstunterzeichnet habe. Ich habe hier 3 bis 5 Minuten, also werde ich nicht die 10 Thesen nacherzählen – das steht eh im Internet, wie fast alles, ich möchte nur die erste These wörtlich zitieren, und die erste dieser 10 Thesen lautet: Gäbe es den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht, man müsste ihn erfinden.

 

Das klingt wie eine Provokation, die auf den ersten Blick auch daran denken lässt, warum und wie könnte man heute so etwas neu schaffen, dass es öffentlich, gemeinschaftlich finanziert, ein nicht nur journalistisches, auch ein kulturelles Angebot gibt, das frei, ohne Gebühren über die verschiedensten Kanäle verbreitet wird. So etwas neu zu schaffen, scheint unwahrscheinlich. Aus genau den Gründen, die Kollege Fenninger vorhin genannt hat, weil das jenseits einer dominanten Markt- und Profitlogik liegt, die aber, wenn man sich ansieht, wie Öffentlichkeit im Digitalen entsteht, im Vormarsch ist. 

 

Ich würde aber sagen, den öffentlich-rechtlichen Rundfunk braucht es nicht nur deshalb im digitalen Zeitalter, weil Öffentlichkeit vor allem durch Kommerz und auf profitgetriebenen Plattformen entsteht, sondern weil die digitalen Technologien auch emanzipatorische Potentiale mit sich bringen. Weil es noch nie so einfach war für Menschen, sich an die Öffentlichkeit zu wenden. Das Problem ist aber: Wenn sie das heute tun wollen, dann sind sie darauf angewiesen, dass sie das auf privaten Plattformen machen, sich deren Terms of Service unterwerfen, und dann haben sie keine Public Option. Sie haben keine öffentlich-rechtliche Alternative, auf der sie z.B. ihre Podcasts, ihre YouTube-Videos, ihre Blogs oder sonst was hochladen können und gleichzeitig sicher vor Abmahnungen sind. Also etwas, was Öffentlichkeit herstellt, aber nicht primär der Marktlogik folgt, sondern einem öffentlich-rechtlichen Auftrag.

 

Wenn man das ernst nimmt, dann folgt daraus aber auch, dass dieses emanzipatorische Potential digitaler Technologien vom real existierenden öffentlich-rechtlichen Rundfunk auch nicht gehoben wird. Dann erfordert das auch, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk, so wie er existiert, sich wandeln muss, und ich würde sagen: Er muss sich auch wandeln dürfen.

 

Wenn wir uns anschauen, was der öffentlich-rechtliche Rundfunk heute machen darf, was das öffentlich-rechtliche Angebot im digitalen Raum betrifft, dann sehen wir auf der einen Seite, dass man sich beklagt, dass es Fake News gibt, dass Inhalte verbreitet werden, deren Qualität zweifelhaft ist, gleichzeitig zwingt man den ORF und auch andere öffentlich-rechtliche Sender, ihre Inhalte nach bisweilen sogar schon 7 Tagen zu löschen. Man erzwingt, dass Archive geschlossen bleiben, man erzwingt, dass Inhalte, die öffentlich finanziert werden, nicht öffentlich zugänglich bleiben dürfen. Und das ist ein Anachronismus, der muss aufhören.

 

Das heißt, es wird darum gehen, wie stellt man den öffentlich-rechtlichen Rundfunk neu auf, es wird nicht nur darum gehen zu verhindern, dass er steuerfinanziert wird und dass es eine politische Übernahme des ORF gibt. Es wird auch darum gehen, etwas zu fordern, nämlich, dem ORF die Fesseln zu nehmen, dem ORF zu erlauben, im Digitalen zu experimentieren, Inhalte dort zugänglich zu machen, wo sie gefunden werden. Und es wird auch bedeuten, dass der ORF sich ändern muss – der ORF, wie auch öffentlich-rechtliche Sender ganz allgemein, von Sendern zu offenen Plattformen. Ich glaube nämlich, dass das der Punkt ist, wo gerade im digitalen Zeitalter öffentlich-rechtliche Angebote von privaten, kommerz- und profitgetriebenen Angeboten sich unterscheiden müssen und sollen. Nämlich, indem sie offener sind, im Sinne von transparenter, partizipativer und auch offener, was die Lizenzierung ihrer Inhalte betrifft, als man es von privaten Anbietern überhaupt je fordern könnte.

 

Denn erst dann, wenn sie das sind, wird auch deutlich werden, worin ihr Mehrwert besteht und warum es das wert ist, sich einen öffentlich-rechtlichen Rundfunk gerade auch im digitalen Zeitalter zu leisten.

 

Wien, Karlsplatz 

6. Juni 2018