Der ORF war schon einmal freier
Ich bin ja kein Medienexperte, habe mich aber bemüht, Medienpolitik zu begreifen, in den letzten Jahren in meiner Position beim ORF als Stiftungsrat, in aller Verbundenheit mit dem öffentlich-rechtlichen Gedankengut und der Idee.
Menschen wollen verstehen, die Welt begreifen, ergreifen, gesellschaftliche Prozesse erkennen, um dann an diesen Prozessen selbstständig und selbsttätig mitzutun und handeln. Das ist letztlich die Basis der Demokratie, und deshalb kann man den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als Teil einer öffentlichen, kulturellen Daseinsvorsorge einer Demokratie bezeichnen.
Wer hat nun Interesse daran, dass es dieses Öffentlich-Rechtliche nicht mehr geben soll oder zumindest nicht in seiner Unabhängigkeit?
Zum einen sind es jene Menschen, die den Markt auf alle Lebensbereiche ausdehnen wollen: dass nichts mehr außerhalb des Marktes stattfindet, sondern dass alles einer Profitlogik ausgesetzt ist, um möglichst viel Gewinn zu machen und sich zu bereichern. Diese Menschen wollen keine Bürger und Bürgerinnen, sie wollen Konsumenten und Konsumentinnen. Das ist ihr Ziel, die Kommerzialisierung aller Lebensbereiche.
Und die andere Gruppe, die kein Interesse an der öffentlich-rechtlichen Idee hat, hängt durchaus mit den ökonomischen Gruppierungen zusammen. Sie wollen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk unter ihren Einfluss, unter ihre Kontrolle stellen. Im Sinne von Foucault, der Govermentalität, von oben nach unten, über alle Institutionen der Gesellschaft zu regieren, die Menschen nicht aufzuklären, sondern sie anzupassen. Das ist ihr Verständnis von öffentlich-rechtlichem Rundfunk.
Der ORF gehört aber uns, den Bürgern und Bürgerinnen. Und niemandem sonst. Es ist unser Informations- und unser Kulturkanal, den wir zu verteidigen haben. Es ist der Beginn vom Ende einer Demokratie, wenn Öffentlich-Rechtliches, von den Bürgern und Bürgerinnen Kontrolliertes abgebaut und abgeschafft wird, und das sehen wir in allen Ländern, die regressiv geworden sind, die repressiv geworden sind und ins Autoritäre verfallen.
Der ORF war schon einmal freier. Ich habe viel erfahren und gelernt und stimme da mit dem Redakteursrat sehr überein. Öffentlich-rechtlicher Rundfunk darf nicht von der Regierung besetzt werden. Das Gesetz von 2001/2002, dass sich die Regierung sozusagen alles nimmt und damit den öffentlich-rechtlichen Rundfunk steuern kann, ist zutiefst falsch. Wir brauchen eine andere Systematik, das muss im nächsten ORF-Gesetz implementiert werden, wo Bürgerinnen und Bürger autonom die Aufsicht übernehmen und der ORF nicht zu einem Regierungsfunk verkommen kann.
Wir reden dabei nicht von etwas Utopischem, sondern wir können das real belastbar beweisen. Wir haben einen Stiftungsrat eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks, der früher Parteivorsitzender war und Vizekanzler, Parteivorsitzender der FPÖ, der meint, man müsse die Journalisten und Journalistinnen „erziehen“. So banal das klingt, so hat es doch eine irre Wirkungsmacht, wenn er an dieser Stelle meint, wir müssen die Journalistinnen und Journalisten „erziehen“, also „anpassen“ – stromlinienförmig im Interesse der Macht und der Regierungen.
Das Zweite, was der Stiftungsratsvorsitzende in einem Interview gesagt hat, war, er meint, „seine Kritik zeige Wirkung“, wortwörtlich, eine „Drohkulisse wird ja nicht jeden Tag aufgebaut. Aber ich finde, sie hat schon Wirkung gezeigt.“ Das ist das Originalzitat von jenem, der jetzt diesem Stiftungsrat vorsitzt und zugibt, dass er Drohkulissen aufbaut, es zwar nicht täglich machen muss, weil sie jetzt ohnehin schon Wirkungen zeigen …
Das ist die Gefahr für den ORF, dass er einerseits von uns gewollt wird und gleichzeitig das Kritische verlieren kann und zum Teil auch unkritischer geworden ist. Deshalb müssen wir den ORF auch von außen stärken und uns wahrscheinlich dazu entschließen, vielleicht jedes Quartal öffentliche Publikumsratssitzungen, Stiftungsratssitzungen zu machen als Gegenbeispiel zu dem instrumentalisierten Stiftungsrat, wo wir uns gemeinsam zusammenfinden und überlegen, wie öffentlich-rechtlicher Rundfunk funktionieren muss. In diesem Sinne wünsche ich uns und allen Journalistinnen udn Journalisten, die daran interessiert sind, Meinungsvielfalt herzustellen und gesellschaftliche Prozesse zu dekonstruieren, viel Kraft und Mut.
Wien, Karlsplatz
6. Juni 2018