Rede Helga Schwarzwald, Verband freier Radios, Barbara Eppensteiner, Okto, Community TV

Public Open Space(s)

 

Wir finden es wunderbar, dass mit uns beiden auch der private Rundfunk zu Wort kommt. Es sind allerdings die etwas anderen Privatsender, die wir hier vertreten, die nichtkommerziellen Medien, die sich selbst gern als dritte Säule des meist nur als dual gedachten Rundfunksystems verstehen. Jene Community Medien, die als Radios heuer ihren 20. Geburtstag feiern. Und Community Fernsehen gibt es auch bald 13 Jahre lang. 

 

Warum sind Community Medien die – etwas sehr – anderen Privatsender?  Ganz einfach: Weil bei uns jeder Mensch Radio und Fernsehen machen kann und darf.  Wichtig ist eine gute Idee, die das österreichische Rundfunkangebot bereichert und Menschen, die unsere antidiskriminatorische Haltung aktiv mittragen. Wir freuen uns über Inhalte und Herangehensweisen, die neu oder auf anderen Sendern nicht der Rede wert sind. Weil sie Minderheitenmeinungen transportieren oder nur für eine kleinere Gruppe der Gesellschaft relevant sind, weil sie experimentell an die Sache herangehen oder auch nur deshalb, weil es um Musiker_innen geht, die noch keiner kennt. Wichtige Grundlage dafür: Wir sind werbefrei.

 

Barbara Eppensteiner und ichhaben in unserer Vorbereitung für heute festgestellt, dass wir, wenn wir mit Menschen über Freies Radio und über Community TVs sprechen, immer wieder zwei Reaktionen begegnen. Die eine: „Echt? Bei euch kann ma anfach Radio machen?“

 

Auch nach 20 Jahren finden es die Menschen geradezu unglaublich, dass hier der Zugang zu Studios und Produktionsressourcen für alle offen ist.„Ja“, sagen wir dann: „So ist das. Denn das macht Freie Radios und Community TVs aus.“

 

Die andere Reaktion ist: „Ah, Sie sind Geschäftsführerin vom Freien Radio XXY, da kennen Sie sicher die Frau Soundso, die macht ja bei Ihnen eine Sendung.“ Des Öfteren musste ich sagen: „Ich kenne sehr viele unserer Radiomacher_innen persönlich. Aber nein, die Frau Soundso kenn ich leider nicht.“ Denn bei den aktuell 3.143 Redakteur_innen, die in 14 Freien Radios und 3 CTVs ca. 400 Stunden Programm täglich machen, ist es unmöglich, wirklich alle zu kennen. 

 

Bei den freien Medien machen also Tag für Tag ganz schön viele Menschen eigenständig, selbstbestimmt und ehrenamtlich Programme zu Themen, die sie auf anderen Sendern suchen, aber nicht finden. Sie könnten ihre Produktionen natürlich auch im Internet veröffentlichen. Aber selbst jene, die das Netz ursprünglich „cooler“ fanden, kommen nicht selten irgendwann doch zu den freien Medien. Weil ihnen hier nämlich mehr geboten wird: Workshops zum Beispiel, in denen sie mit den Grundlagen journalistischen Arbeitens oder der Technik vertraut gemacht werden, Zugang zu Produktionsmitteln und vor allem das Gefühl, auch jenseits des Veröffentlichten wahr genommen zu werden. Es entsteht ein WIR. Kein Friede-Freude-Eierkuchen-WIR, sondern eines, das voll ist mit Widersprüchen, die es auszuhalten und Konflikten, die es auszutragen gilt.

 

Damit das gut geht, bieten wir ein professionell organisiertes und gut durchdachtes Angebot zu echter medialer Partizipation. Dass dabei unter anderem auch kritische Medienkompetenz entsteht, ist ein durchaus beabsichtigter Nebeneffekt. 

 

Doch auch wenn wir es immer noch nicht geschafft haben, allen klar zu machen, was Freies Radio und Community TV ausmacht, stehen wir bereits vor den nächsten großen Herausforderungen.

 

Unbestritten: Radio und TV sind wichtig. Der ORF und seine Journalist_innen garantieren mit beachtlichen Ressourcen eine unverzichtbare Informationslandschaft – eine Informationsinfrastruktur für Österreich. Es ist also für an Demokratie interessierte Bürger­_innen nicht unbedingt klug, auf eine Logik von „konsumier’ i ned, zahl i ned“ hereinzufallen. Uns allen, die wir uns heute hier zusammengefunden haben, ist ein journalistisch hochwertiges Informationsangebot, das wir jederzeit in verlässlicher Qualität per Knopfdruck abholen können, längst zur Selbstverständlichkeit geworden. Doch der Medienwandel ist rasant, und die Digitalisierung stellt uns vor ganz neue Herausforderungen. Wir alle erleben täglich, wie im Internet die guten alten journalistischen Tugenden in Frage gestellt und damit Aushöhlung demokratischer Systeme vorangetrieben wird. 

 

Um dem entgegenzuwirken, braucht es eine Rückeroberung des Netzes. Es braucht Informations-, Wissens- und Diskursräume, bei denen eben nicht allein die Vermarktung im Zentrum steht: Public Open Spaces. Die so verfassten und – derzeit auch international viel diskutierten – digitalen Räume müssen technologische wie inhaltliche Rahmenbedingungen bereitstellen, innerhalb derer das gesellschaftliche Gespräch zu unterschiedlichen Interessen aufgenommen und die daraus resultierenden Konflikte respektvoll geführt werden können.  

 

Als Anknüpfungspunkt für alle, die mit Internet nicht so auf du und du sind, könnte hier das Bild einer modernen Bücherei dienen: Wissen, Aufmerksamkeit, Interesse, Information, Multimedialität stehen im Raum. Für ganz viele Menschen mit ganz unterschiedlichen Interessen und Bedürfnissen gibt es dort was zu holen: von der wissenschaftlich Interessierten über den zeitungslesenden Renter, bis hin zu Kids, die Videospiele ausprobieren. Es gibt nichts zu kaufen. Es ist eine Einrichtung des Gemeinwesens. Und es geht nicht nur um Wissen, es geht auch um Unterhaltung und um Kunst. 

 

Ein digitaler Public Open Space kann noch mehr. Anders als die Büchereien soll er konstruktive Diskurse und – mitunter – laute Auseinandersetzungen nicht nur ermöglichen, sondern sogar befördern.

 

Entstehen könnte eine solche digital-demokratische Öffentlichkeit, wenn der ORF seine Archive öffnet und sich mit anderen nicht gewinnorientierten Medien- und Wissensanbietern zusammentut. Gemeinsam ließe sich ein solches Public Service Medienangebot mit Sicherheit leichter in das Blickfeld der Internet-Nutzer_innen rücken. 

 

Das zu schaffen, ist auf mehreren Ebenen eine Herausforderung, es wäre aber auch eine Notwendigkeit. Und ja, das kostet Geld. Aber nicht nur das. Es braucht auch Mut. Und zwar den zu einer Medienpolitik, die sich traut, eine andere Frage zu stellen, als die danach, welche Rahmenbedingungen sicherstellen, dass die eigene Partei möglichst oft vor- und möglichst gut wegkommt und dem politischen Gegner möglichst wenig oder wenn dann vor allem kritische Aufmerksamkeit zuteil wird. Um den durch die Digitalisierung entstandenen demokratiepolitischen Herausforderungen zu begegnen, bräuchte es einen ernstzunehmenden Gestaltungswillen, der Abschied nimmt von jener diskreten Machtpolitik, in der die persönlichen Befindlichkeiten politischer Entscheidungsträger mehr zählten als demokratiepolitische Überlegungen.Die hatten wir jetzt jahrzehntelang: zum Nutzen des Boulevards, der großzügig mit Inseraten versorgt wurde und zum Schaden eines ernstzunehmenden Journalismus auf der einen und der Demokratie auf der anderen Seite. 

Und so wie wir selbstverständlich auch Straßen finanzieren, die wir nie befahren, für die Gehälter von Lehrer_innen aufkommen, auch wenn wir keine Kinder haben, oder mit den von uns bezahlten Steuern den Betrieb von Burg und Oper ermöglichen, so muss uns auch eine demokratieförderliche Kommunikationsinfrastruktur etwas wert sein. Die ist nämlich nix Individuelles.

 

Und wenn Öffentlichkeit allein dem Markt überlassen wird, dann kriegen wir möglicherweise noch mehr von dem, was uns die privatkommerziell organisierten internationalen Netzplattformen täglich liefern: Newsfeeds voll mit Hass und Verleumdung. 

 

Es wäre höchst an der Zeit, dem entschlossen entgegenzutreten. Und dabei muss die Wahrung und Pflege demokratischer Verhältnisse die Leitidee sein und nicht – wie derzeit vor allem diskutiert – so etwas schwammig Nationalistisches wie eine österreichische Identität.

 

Die Diskussion um Rundfunkgebühren und die Verteilung der Fördermittel darf also nicht nur gute Inhalte im Blick haben, sondern muss vor allem die Frage danach stellen, welche Infrastruktur das medial vermittelte gesellschaftliche Gespräch braucht.

 

Erhebliche Investitionen in die demokratische Zukunft sind notwendig und die pauschale Forderung danach, dass der ORF weniger Geld brauchen soll, macht daher keinen Sinn. Er soll sogar mehr Geld brauchen dürfen, wenn er es für etwas Sinnvolles ausgibt: seine eigene Zukunft und die einer zeitgemäßen demokratischen Kommunikations- und Informationsinfrastruktur. Den Public Open Space groß denken, ist das Gebot der Stunde. 

 

Und weil wir schon beim Geld in Sinne einer Investition in eine demokratische Zukunft sind, zum Abschluss noch ein Blick auf den Ist-Stand der österreichischen Rundfunkförderung: Die werbefinanzierten und auf privaten Profit ausgerichteten Anbieter, die Pro7Sat1Puls4ATV-Gruppe, die Fellner-Medien, Radiosender aus dem Kronenzeitungskonzern oder Servus TV des Herrn Mateschitz, bekommen (zusätzlich zu den regierungsnahen Inseraten) fünf mal (!) soviel öffentliches Geld wie die 17 gemeinnützigen, werbefreien Sender. Obwohl es zweitere sind, die echte Meinungsvielfalt zum Ziel haben und mit ihrer lokalen und aus der Bevölkerung heraus erfolgenden Programmschöpfung auch wesentlich zur Medienbildung beitragen. Wir fordern, dass sich dieses Verhältnis deutlich verbessert.

 

Wien, Karlsplatz 

6. Juni 2018